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.Ich weiß bis heute nicht, wie Juden aussehen, sonst könnte ich ermessen, ob sie mich für einen gehalten hat, ich glaube eher, daß es nicht an meinem Äußeren lag, eher an meinem Blick, wenn ich aus dem Bus auf die Straße blickte und an Marie dachte.Mich machte diese stumme Feindseligkeit nervös, ich stieg eine Station zu früh aus, und ich ging zu Fuß das Stück die Ebertallee hinunter, bevor ich zum Rhein hin abschwenkte.Die Stämme der Buchen in unserem Park waren schwarz, noch feucht, der Tennisplatz frischgewalzt, rot, vom Rhein her hörte ich das Hupen der Schleppkähne, und als ich in den Flur trat, hörte ich Anna in der Küche leise vor sich hinschimpfen.Ich verstand immer nur ».kein gutes Ende — gutes Ende — kein.« Ich rief in die offene Küchentür hinein: »Für mich kein Frühstück, Anna«, ging rasch weiter und blieb im Wohnzimmer stehen.So dunkel war mir die Eichentäfelung, die Holzgalerie mit Humpen und Jagdtrophäen noch nie vorgekommen.Nebenan im Musikzimmer spielte Leo eine Mazurka von Chopin.Er hatte damals vor, Musik zu studieren, stand morgens um halb sechs auf, um vor Schulbeginn noch zu üben.Was er spielte, versetzte mich in eine spätere Tageszeit, und ich vergaß auch, daß Leo spielte.Leo und Chopin passen nicht zueinander, aber er spielte so gut, daß ich ihn vergaß.Von den älteren Komponisten sind mir Chopin und Schubert die liebsten.Ich weiß, daß unser Musiklehrer recht hatte, wenn er Mozart himmlisch, Beethoven großartig, Gluck einzigartig und Bach gewaltig nannte; ich weiß.Bach kommt mir immer vor wie eine dreißigbändige Dogmatik, die mich in Erstaunen versetzt.Aber Schubert und Chopin sind so irdisch, wie ich es wohl bin.Ich höre sie am liebsten.Im Park, zum Rhein hin, sah ich vor den Trauerweiden die Schießscheiben in Großvaters Schießstand sich bewegen.Offenbar war Fuhrmann beauftragt, sie zu ölen.Mein Großvater trommelt manchmal ein paar »alte Knaben« zusammen, dann stehen fünfzehn Riesenautos im kleinen Rondell vor dem Haus, fünfzehn Chauffeure stehen fröstelnd zwischen den Hecken und Bäumen oder spielen gruppenweise auf den Steinbänken Skat, und wenn einer von den »alten Knaben« eine Zwölf geschossen hat, hört man bald drauf einen Sektpfropfen knallen.Manchmal hatte Großvater mich rufen lassen, und ich hatte den alten Knaben ein paar Faxen vorgemacht, Adenauer imitiert, oder Erhard — was auf eine deprimierende Weise einfach ist, oder ich hatte ihnen kleine Nummern vorgeführt: Manager im Speisewagen.Und wie boshaft ich es auch zu machen versucht hatte, sie hatten sich totgelacht, »köstlich amüsiert«, und wenn ich anschließend mit einem leeren Patronenkarton oder einem Tablett rundging, hatten sie meistens Scheine geopfert.Mit diesen zynischen alten Knackern verstand ich mich ganz gut, ich hatte nichts mit ihnen zu tun, mit chinesischen Mandarinen hätte ich mich genausogut verstanden.Einige hatten sich sogar zu Kommentaren meinen Darbietungen gegenüber verstiegen »Kolossal« — »Großartig«.Manche hatten sogar mehr als ein Wort gesagt: »Der Junge hat's in sich« oder »In dem steckt noch was.« Während ich Chopin hörte, dachte ich zum erstenmal daran, Engagements zu suchen, um ein bißchen Geld zu verdienen.Ich könnte Großvater bitten, mich als Alleinunterhalter bei Kapitalistenversammlungen zu empfehlen, oder zur Aufheiterung nach Aufsichtsratssitzungen.Ich hatte sogar schon eine Nummer »Aufsichtsrat« einstudiert.Als Leo ins Zimmer kam, war Chopin sofort weg; Leo ist sehr groß, blond, mit seiner randlosen Brille sieht er aus, wie ein Superintendent aussehen müßte oder ein schwedischer Jesuit.Die scharfen Bügelfalten seiner dunklen Hose nahmen den letzten Hauch Chopin weg, der weiße Pullover über der scharfgebügelten Hose wirkte peinlich, wie der Kragen des roten Hemdes, das über dem weißen Pullover zu sehen war.Ein solcher Anblick — wenn ich sehe, wie jemand vergeblich versucht, gelockert auszusehen — versetzt mich immer in tiefe Melancholie, wie anspruchsvolle Vornamen, Ethelbert, Gerentrud.Ich sah auch wieder, wie Leo Henriette ähnlich sieht, ohne ihr zu gleichen: die Stupsnase, die blauen Augen, der Haaransatz — aber nicht ihren Mund, und alles, was an Henriette hübsch und beweglich wirkte, ist an ihm rührend und steif
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